Ein Manifest ist eine hervorragende Form, um Ziele, Absichten, Werte und Purpose schriftlich zu fixieren. Der Beitrag zeigt, wie es geht und gibt drei inspirierende Beispiele für Manifeste aus ganz unterschiedlichen Bereichen: Softwarentwicklung, Management und Freizeit.
Ein Manifest kann ich für mich selbst formulieren, um mir selbst Orientierung zu geben. Doch üblicherweise sind Manifeste mit Bewegungen verknüpft. Das berühmteste Beispiel ist wohl das „Manifest der kommunistischen Partei“ von Karl Marx und Friedrich Engels. So eine Absichtserklärung lässt sich aber ebenso für ein Unternehmen formulieren, das seinen Purpose anders verdeutlichen möchte als in einem angestaubten Leitbild.
Gehen wir die Beispiele der Reihe nach durch und sehen uns an, wie sie aufgebaut und geschrieben sind!
Beispiel: Agile Manifesto (2001)
Wir erschließen bessere Wege, Software zu entwickeln,
indem wir es selbst tun und anderen dabei helfen.
Durch diese Tätigkeit haben wir folgende Werte schätzen gelernt:
- Individuen und Interaktionen vor Prozessen und Tools
- Funktionierende Software vor umfassender Dokumentation
- Zusammenarbeit mit dem Kunden vor Vertragsverhandlung
- Reagieren auf Veränderung vor dem Befolgen eines Plans
Das heißt, obwohl wir die Werte auf der rechten Seite wichtig finden,
schätzen wir die Werte auf der linken Seite höher ein.
Learnings
Während sich Marx und Engels für ihr „Manifest der kommunistischen Partei“ noch rund 35 Seiten nehmen, sind aktuelle Manifeste meist thesenartig und knapp formuliert. Das „Agile Manifesto“ ist äußerst knapp und genau darin liegt sein Charme. Es verdichtet in nur vier Thesen, was Sache ist.
Der Aufbau des Manifests folgt einer strengen Regel: Es geht um die Gegenüberstellung von heute und morgen, von Realität und Vision, alten und neuen Werten, verbunden durch die Formulierung „vor“.
Das Manifest ist messerscharf, aber nicht radikal. Sein Ton ist abwägender Art. Dennoch wird deutlich, was die Autoren dieses Textes anstreben. Wichtig: Die vier Thesen sind gerahmt durch eine An- und eine Abmoderation, sodass der Kontext klar wird.
Der Vorteil so eines kurzen Textes liegt für mich auf der Hand: Er lässt sich schnell lesen, gut merken und weitererzählen. Er lässt sich an der eigenen Arbeit überprüfen. Darüber hinaus kann ich leichter 4 Handlungsanweisungen folgen als zum Beispiel 10. Es ist ein Text von Praktikern für Praktiker, das macht ihn so stark.
Beispiel 2: Der MBA-Eid (Kurzfassung, 2009)
In meiner Funktion als Manager diene ich in erster Linie dem gesellschaftlichen Gemeinwohl. Durch die Verknüpfung von Menschen und Ressourcen schafft ein Manager gemeinschaftliche Werte, die von einzelnen Individuen nicht hätten erbracht werden können.
Deshalb werde ich einen Weg einschlagen, der langfristig den gesellschaftlichen Nutzen meines Unternehmens steigert. Mir ist bewusst, dass meine Handlungen weitreichende Konsequenzen haben können, die sich sofort und in der Zukunft auf das Wohlbefinden von sowohl unternehmensinternen als auch –externen Personen auswirken können. Da ich als Manager zukünftig die Interessen verschiedener Seiten vereinbaren muss, ist mir bewusst, dass mir schwierige Entscheidungen bevor stehen.
Deshalb gelobe ich:
- Ich werde stets mit größter Rechtschaffenheit handeln und in meiner Arbeitsweise ethischen Prinzipien treu bleiben.
- Ich werde die Interessen meiner Aktionäre, Mitarbeiter, Kunden und des Unternehmensumfeldes sichern.
- Ich werde mein Unternehmen nach bestem Gewissen führen und mich vor Entscheidungen und Verhalten hüten, die lediglich meinen eigenen egoistischen Zielen dienlich sind, aber dem Unternehmen und seinen Mitarbeitern Schaden zufügen.
- Ich werde alle Gesetze und Verträge einhalten, die mein persönliches Verhalten und das meines Unternehmens betreffen.
- Ich übernehme volle Verantwortung für meine Handlungen und präsentiere Unternehmensleistungen und Unternehmensrisiken akkurat und wahrheitsgerecht.
- Ich werde mich selbst beruflich weiterentwickeln und auch die berufliche Entwicklung mir unterstellter Manager fördern, damit meine Profession weiter wächst.
- Ich werde danach streben weltweiten nachhaltigen ökonomischen, sozialen und ökologischen Wohlstand zu schaffen.
Ich erkenne meine Rechenschaftspflicht gegenüber anderen MBA-Absolventen an, nach diesem Eid zu handeln und erkenne ihre Verantwortung mir gegenüber an, selbiges zu tun.
Diesen Eid lege ich freiwillig ab.
Learnings
Den MBA-Eid verfassten 25 Studenten der Harvard-Universität, gemeinsam mit zwei Professoren. Die Idee war, unter dem Eindruck der Finanzkrise von 2008 eine Absichtserklärung zu verfassen, die nicht nur für Absolventen von Business Schools gilt.
Das Ergebnis scheint mir allerdings weniger ein tatsächlicher Eid, sondern vielmehr ein starkes Manifest, geschrieben in einer nachdrücklichen Form. Aufgezeigt wird eine ganz klare Richtung: Es geht nicht um die Maximierung von Profit, sondern um die Maximierung von Purpose und gesellschaftlichem Nutzen.
Im Vergleich zum Agile Manifesto klingt dieser Text viel bestimmter, eindringlicher. Hier wird keine Richtung vorgeschlagen, sondern vielmehr vorgeschrieben. Ich verpflichte mich, bestimmten Werten und ethischen Richtlinien zu Folgen. Das ist ein ganz anderer Tonfall. Und auch der Umfang ist ein anderer – und der hier zitierte Text ist die Kurzfassung.
Dieser Eid hat Diskussionen rund um den Globus angestoßen, doch man merkt ihm an, dass er aus dem universitären Umfeld stammt. Es scheint mir ein wichtiger Punkt, dass Manifeste für unterschiedliche Zielgruppen in unterschiedlichen Situationen eine andere Form haben.
Beispiel 3: Das Manifest der Maker-Bewegung (2013)
MAKE: Making is fundamental to what it means to be human. We must make, create, and express ourselves to feel whole. There is something unique about making physical things. These things are like little pieces of us and seem to embody portions of our souls.
SHARE: Sharing what you have made and what you know about making with others is the method by which a maker’s feeling of wholeness is achieved. You cannot make and not share.
GIVE: There are few things more selfless and satisfying than giving away something you have made. The act of making puts a small piece of you in the object. Giving that to someone else is like giving someone a small piece of yourself. Such things are often the most cherished items we possess.
LEARN: You must learn to make. You must always seek to learn more about your making and may become a journeyman or master craftsman, but you will still learn, want to learn, and push yourself to learn new techniques, materials, and processes. Building a lifelong learning path ensures a rich and reward- ing making life and, importantly, enables one to share.
TOOL UP: You must have access to the right tools for the project at hand. Invest in and develop local access to the tools you need to do the making you want to do. The tools of making have never been cheaper, easier to use, or more powerful.
PLAY: Be playful with what you are making, and you will be surprised, excited, and proud of what you discover.
PARTICIPATE: Join the Maker Movement and reach out to those around you who are discovering the joy of making. Hold seminars, parties, events, maker days, fairs, expos, classes, and dinners with and for the other makers in your community.
SUPPORT: This is a movement, and it requires emotional, intellectual, financial, political, and institutional support. The best hope for improving the world is us, and we are responsible for making a better future.
CHANGE: Embrace the change that will naturally occur as you go through your maker journey. Since making is fundamental to what it means to be human, you will become a more complete version of you as you make.
In the spirit of making, I strongly suggest that you take this manifesto, make changes to it, and make it your own. That is the point of making.
Learnings
Dieses Manifest ist wieder anders aufgebaut: 9 Schlagworte, die knapp erläutert werden. Die Schlagworte sind allesamt Imperative, Befehlsformen. Spiele! Lerne! Teile! Im Kern geht es darum, Menschen aufzufordern mitzumachen. Allerdings eher spielerisch. Hier geht es nicht um das Wirtschaftssystem, sondern darum, im Prozess des Herstellens von Dingen die Welt in positiver Weise zu gestalten und zu sich selbst zu finden.
Auf einmal können wir z.B. mit Hilfe von 3D-Druckern Dinge schaffen, die vor dieser Technologie für Bastler und Tüftler unbezahlbar war. Also los!
Angebunden ist die Maker-Bewegung an einen klaren Purpose: Dinge zu machen ist das Fundament des Menschseins und so werden wir als Maker eine bessere Version von uns selbst. So bekommt das Basteln und Tüfteln einen ganz neuen Stellenwert.
Die Architektur dieses Manifests hat einen hohen Grad von Geschlossenheit. Der Geist der Maker-Bewegung wird umfassend beschrieben – bis hin zum Ende, das diesen Geist auch auf das Dokument selbst anwendet: Verändere es, mach es zu deinem Dokument!
Wie schreibe ich ein Manifest: 7 Tipps
1. Nimm einen Text, der dich anspricht, als Vorlage. Mir z.B. gefällt das DOGMA-95-Manifest der dänischen Filmregisseure Lars von Trier und Thomas Vinterberg, weil es so einfach und praxisnah ist.
2. Modifiziere den Text. DOGMA 95 enthält mir zu viele Verbote. Ich würde immer positive Formulierungen wählen. „Spezialeffekte und Filter sind verboten“ klingt mir zu hart. Warum schreibe ich nicht, dass Natürlichkeit oberstes Gebot ist und wir daher auf Effekte verzichten.
3. Frame ihn. Ein Manifest braucht m.E. einen klaren Rahmen: Sätze, die ihm Tiefe verleihen und ein Bild der Welt aus der eigenen Perspektive zeichnen. Er fehlt bei DOGMA 95.
4. Stelle den Purpose klar heraus. „Dem Gemeinwohl dienen“, „bessere Software entwickeln“, „wir sind verantwortlich dafür, eine bessere Zukunft zu erschaffen“.
5. Finde deinen Stil. Beim Lesen der Manifeste fällt auf, dass jedes seinen eigenen Stil hat. Er sollte komplementär zu den Inhalten sein. Spätestens an diesem Punkt sollte sich die Vorlage so verwandeln, dass dein Manifest entsteht.
6. Schreibe iterativ. Ein Manifest entsteht von Entwurf zu Entwurf – wie alle guten Texte. Es braucht in der Regel viele Versionen, bis sich der Text gut anfühlt. Irgendwann würde ich einen Punkt machen: Verbindlichkeit vor Perfektion.
7. Verliere Ziel und Zielgruppe nicht aus den Augen. Es handelt sich um deine Absichtserklärung. Und zwar so formuliert, dass sie für andere, die du auf deine Reise mitnehmen willst, anschlussfähig ist.