Von den Stoikern lernen bedeutet, Gemütsruhe und Gelassenheit zu lernen. Oder, etwas weiter gefasst: Lernen, ein glückliches Leben zu leben.
Vor rund 2.000 Jahren entwickelten Philosophen wie Seneca, Epiktet und Marc Aurel, der auch römischer Kaiser war, eine Philosophie der Lebenskunst, die bis heute fasziniert.
„Nicht auf Worten beruht die Philosophie“, schreibt Seneca, „sondern auf Handlungen: Sie zeigt, was man tun und lassen muss.“ Insbesondere in unruhigen Zeiten wie unseren, wirkt stoisches Denken stark.
Von den Stoikern lernen: Hier ist meine Checkliste für Gelassenheit
1. Liegt es in meiner Macht – oder nicht?
Epiktet ist der eigentliche Begründer der Gelassenheit. Sehen wir uns einem Problem gegenüber rät er zu fragen: Was liegt in meiner Macht – was nicht? Steht es in der eigenen Macht, etwas zu tun, tu es! Wenn nicht, dann lass es!
Aus dieser Haltung folgt Gelassenheit. Wir lernen, die Dinge, die wir nicht beeinflussen können, zu akzeptieren, mit ihnen zu leben, anstatt vergeblich dagegen anzukämpfen.
Aber: Ist das so leicht zu unterscheiden, das, worüber wir Macht haben und das, worüber wir keine Macht haben? Nein. Im Gegenteil: Es wird vermutlich immer schwieriger, diese Grenze zu ziehen. Gerade die Technik gibt uns das Gefühl, dass alles möglich ist.
Akzeptieren ist der Weg zu echter innerer Freiheit!
Epiktet schreibt, in unserer Macht stehen: „unser Denken, unser Tun, unser Begehren, unsere Abneigung, kurz: alles, was von uns selber kommt.“ Aber, nicht in unserer Macht liegen: „unser Körper, unser Besitz, unser gesellschaftliches Ansehen, unsere Stellung, kurz: alles, was wir selbst nicht in Gang setzen und zu verantworten haben.“
Anstatt zu jammern sollte ich mich stoisch gesehen auf das, was in meiner macht steht, meine Gestaltungsfreiräume konzentrieren und in deren Rahmen das Beste für mich und die Gemeinschaft erreichen.
2. Sorge ich für mich selbst?
Seneca mahnt: „Eigne dich dir an!“ Das meint, sich selbst im Blick zu haben, wahrzunehmen, was uns guttut und was nicht. Die Selbstsorge.
Läuft das nicht auf Egoismus hinaus? Möglich. Die Stoa operiert nah an dieser Grenze. Doch ich würde diesen Hinweis eher so lesen, dass wir zum Spielball anderer Menschen und Mächte werden können, wenn wir unser Selbst vernachlässigen. Es geht also um Achtsamkeit uns selbst gegenüber.
Achte auf deine Meinung von den Dingen!
Seneca schreibt: „Nichts bringt uns in größere Übel, als wenn wir uns nach dem Gerede der Leute richten, die für das Beste halten, was allgemein angenommen ist, nicht nach Vernunftgründen, sondern nach Beispielen leben.“
Bei Epiktet lesen wir: „Bedenke, dass nicht derjenige, der dich kränkt, welcher dich schmäht oder schlägt, sondern die Meinung, als läge darin etwas Kränkendes. Wenn dich also jemand ärgert, so wisse, dass sich deine Meinung geärgert hat.“
3. Sorge ich für die Welt?
Die Stoiker gehen zwar vom Selbst aus, bleiben aber nicht beim Selbst stehen. Der stoische Kaiser Marc Aurel schreibt: „Wenn du eines Morgens nicht aufstehen magst, denke: Ich erwache, um als Mensch zu wirken.“
Was bedeutet das? Dass mein Purpose und meine Werte über mein persönliches Glück hinausgehen. Mein Leben findet in einer Gemeinschaft statt, deswegen habe ich ein vitales Eigeninteresse an dieser Gemeinschaft. Ich sorge für ihr Wohlergehen.
Wirke als Mensch!
Seneca schreibt: „Ich bin nicht für einen Winkel geboren, mein Vaterland ist diese Welt.“ Wir haben also in Bezug auf unser Handeln nicht weniger als die Welt im Blick.
Um zu lernen rät Seneca zur allabendlichen Gewissensprüfung. Er fragt sich schlicht und einfach: Was ist mir gut gelungen heute und was hätte ich besser machen können?
4. Ist meine Hand ruhig?
Dass unvernünftige Regungen über uns herrschen, ist den Stoikern zuwider. Kühle Gefühle sind ihr Ideal. Es geht nicht um Emotionslosigkeit, sondern vielmehr darum, uns den Emotionen nicht auszuliefern.
Die Frage nach unserer „inneren Führung“ ist für sie ganz eindeutig zu beantworten: Die Vernunft sollte das Kommando haben.
Angst erscheint so als Folge unzureichender Urteilsfähigkeit. Sie beruht in der Welt der Stoiker auf einer falschen, emotionsgeladenen Deutung der Welt. Anders gesagt: auf disziplinlosem Denken.
Kühle deine Gefühle!
Diszipliniertes Denken dagegen beruhigt, denn die Vernunft ermöglicht Einsichten, die sich bewähren, wenn wir ihnen folgen, und so gewinnen wir Halt. Gerade in einer chaotischen und unberechenbaren Umgebung helfen ein klarer Blick und Disziplin gegen die Angst. Das ist der Weg.
Der ehemalige Bundeskanzler und Krisenmanager Helmut Schmidt hat wiederholt Marc Aurel als eins seiner Vorbilder benannt: „Seine beiden wichtigsten Gebote, innere Gelassenheit und Pflichterfüllung, standen mir immer vor Augen.“
5. Wie werde ich glücklich?
Für die Stoiker ist es gleichbedeutend mit Glück, einen tugendhaften Charakter zu kultivieren. Im Kern geht es darum, eine bestimmte Persönlichkeit zu entwickeln.
Die Frage ist: Wer bin ich eigentlich, wenn ich auf diese und jene Weise handle? Muss ich verzichten? Nein, darum geht es nicht.
Minimiere die Angriffsfläche!
Seneca, einer der reichsten und einflussreichsten Männer seiner Zeit, hat nicht das geringste Problem damit, als Philosoph nüchterne Politik und Bankgeschäfte zu betreiben. Er rät nicht zum Rückzug aus der Welt, sondern vielmehr zum klugen Arrangement.
Glück hängt also an Realismus, Nüchternheit, denn so wird Glück machbar. Im Kern geht es um eine Minimierung der Angriffsfläche, die man dem Schicksal bietet. Glück lässt sich trainieren.
Ein Anmerkung an dieser Stelle: In der Praxis gelang das Seneca dann doch nicht ganz so gut. Als Erzieher des römischen Kaisers Nero bekam er von diesem den Befehl, sich umzubringen, weil er angeblich an einer Verschwörung beteiligt war. Diesen Suizid begeht Seneca, so wird berichtet, allerdings mit kühlem Herzen.
Von Stoikern lernen: die Schattenseite
Von den Stoikern lernen bedeutet, selbst bei widrigsten Umständen Souveränität zu wahren. Das stärkste Argument gegen diese Stoiker kommt von der Philosophin Hannah Arendt. Sie wirft den Stoikern vor, die wirkliche Welt für eine eingebildete einzutauschen.
Freiheit ist für Arendt nicht die unbedingte Herrschaft über sich selbst. Sie schreibt: „Kein Mensch ist souverän, weil Menschen und nicht der Mensch die Erde bewohnen.“
Es geht nicht um den Einzelnen, sondern um die Gemeinschaft: Um frei zu sein, müssen wir frei handeln können. Es klinge zwar überaus attraktiv, im Denken frei zu sein und daraus ein Glück abzuleiten, aber diese Freiheit sei nur eine Illusion und ergo auch das Glück. G. W. F. Hegel nennt diese Form der Freiheit „abstrakt“ – nur ein Gedankenspiel.
Anstatt die Probleme in der Realität zu lösen und etwas am System zu ändern, würden die Stoiker ein Glück und eine Freiheit in Fesseln genießen.
Soweit die Kritik. Ich denke, ein zeitgemäßer Stoizismus braucht ja Engagement keinesfalls auszuschließen. Nur wäre dieses Engagement eben chilled-out.