Theorie U ist eine Methode, um achtsam Veränderungen herbeizuführen. Innovationen etwa. Es geht um die Frage, wie Individuen, Gruppen und Organisationen ihr höchstes Zukunftspotential erspüren und verwirklichen können, sagt der Begründer Otto Scharmer.
Scharmer, ein deutscher Ökonom, lehrt am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge, USA. Seine Bücher über die Theorie U gehören für mich zu den faszinierendsten Werken der letzten Jahrzehnte im Kontext von Wirtschaft, Purpose, Innovation. Purpose erleben wir bei Scharmer in einer ganz anderen Form, aber im Kern geht es auch darum, tiefen Sinn oder den Sinn in der Tiefe zu erspüren.
Leider sind Scharmers Bücher nicht sehr zugänglich. Daher hier diese Essentials, die an seine Theorie heranführen sollen.
Zum grundsätzlichen Verständnis: Das U symbolisiert einen Weg. Wir beginnen oben links, sozusagen auf einem Berg, steigen in ein Tal hinab, um dann wieder auf einem Berg anzukommen. Auf der linken Seite des U sind wir Andere als auf der rechten Seite.
Ein Mindset mit einem tiefen Bewusstsein für das Ganze
Bei der Bewegung auf linken Seite des U geht es um Öffnung und die Auseinandersetzung mit Widerständen im Denken, Fühlen und Wollen. Wir rutschen nicht einfach die schiefe Ebene wie von selbst hinunter. Im Gegenteil, der Weg nach unten ist ebenso anspruchsvoll wie der Weg nach oben auf der rechten Seite des U. Dort geht es darum, die Kopf, Herz und Hand bei der Schöpfung des Neuen miteinander zu verbinden.
Klingt kompliziert, auch ein wenig esoterisch. In der Tat. Doch das Spannende an der Theorie U ist aus meiner Sicht, dass sie Systemdenken verbindet mit Spiritualität. Und das macht sie im Kontext von Purpose sehr interessant, wenn ich mir Gedanken mache, wie ich einen Impact erzeuge, wie ich die Zukunft denn nun gestalte, meine eigene, die meines Teams, meiner Organisation.
Dieser Ansatz macht die Theorie U leider alles andere als leicht zugänglich. Doch der Reihe nach, sehen wir uns die Grundbausteine und den Prozess an! Und wer dann mag, der steigt direkt in einen der Vorträge oder eins der Bücher von Scharmer ein.
Das ist der Prozess, den Theorie U beschreibt:
1. Herunterladen
Wir sind in einem Modus des Abspulens altbekannter Muster, die wir immer wieder aufs Neue herunterladen. Die Welt ist wie eingefroren. Wir blicken auf sie mit vertrauten Denkgewohnheiten und auf Basis früherer Erfahrungen. Kein Raum für Neues.
2. Sehen mit neuen Augen
Wir öffnen uns. Sobald wir unser Urteil, das wir auf Basis des Herunterladens bestehender Muster fällen, zurückhalten, beginnen wir, die Dinge, mit neuen Augen zu sehen. Wir bemerken das Neue.
3. Erspüren vom Feld aus
Wir lenken unsere Aufmerksamkeit von den Dingen auf den Prozess der Wahrnehmung, betrachten die Situation oder wie Scharmer schreibt, das Feld, aus dem Ganzen heraus. Die Grenze zwischen Beobachter und Beobachtetem verschwimmt. Das System beginnt, sich selber wahrzunehmen.
4. Presencing oder Verbinden mit der Quelle
Scharmer schreibt, dass wir wie in einer Meditation einen Raum innerer Stille betreten, in dem zwei Dinge geschehen: Wir lassen das Alte los und verbinden uns mit der Sphäre des zukünftigen Potenzials. Die Grenze zwischen Beobachter und den Dingen löst sich vollständig auf.
5. Verdichten von Vision und Intention
Kristallisieren von Intention und Vision. Das Verhältnis zwischen den Dingen und dem Beobachter kehrt sich um: Die Zukunft kommt nun auf mich zu.
6. Erproben durch Prototypen
Wir bilden das Neue in Form von Prototypen. Sie helfen uns, die Zukunft durch praktisches Tun gemeinsam zu erkunden und zu entwickeln.
7. Verwirklichen
Wir bringen das Neue mit Hilfe von Infrastrukturen und Alltagspraktiken in die Welt. Am Ende des U steht die institutionelle Verkörperung und sie gestaltet sich von den Erfordernissen und Gegebenheiten des größeren Ökosystems und nicht mehr von den partikularen Erfordernissen einzelner Egos.
Theorie U braucht IQ, EQ und SQ
Kein leichter Stoff, ich weiß. Zur Verdeutlichung habe ich noch die Grafik der negativen Entwicklung hinzugefügt: Das umgekehrte U entsteht bei genau entgegengesetztem Verhalten und ein generell abweisenden und negativen Haltung gegenüber der Zukunft und dem Neuen. Statt von Presencing spricht Scharmer von Absencing, verbunden mit Angst, Hass und Ignoranz.
Ein weiterer Punkt, den ich in die Grafik eingefügt habe: Um die Praktiken des Öffnens auf der linken Seite des U umsetzen zu können, braucht man eine Atmosphäre, die das Erkunden sämtlicher Vorgänge im System möglich werden lässt. Dies gilt für die Praktiken der Stille, damit die Verbindung mit den tieferen Quellen, dem grundlegenden Auftrag und den sich abzeichnenden Zukunftsmöglichkeiten erkennbar wird. Und es gilt auch für die Praktiken des Prototyping, wo es darum geht, die neuen Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln, sie zu testen, mit ihnen zu spielen, um die besten letztlich zu realisieren.
Die Tabelle zeigt, wie ich in die Tiefe des U gelange. Für Scharmer sind drei Kernkompetenzen wesentlich. Da ist die Öffnung des Denkens (intellektuelle und analytische Fähigkeiten, gemessen in IQ). Da ist die Öffnung des Fühlens, die emotionale Intelligenz (gemessen in EQ). Und da ist die Öffnung des Willens mit Hilfe einer sogenannten spirituellen Intelligenz (gemessen in SQ) notwendig.